Zurück zur Hauptseite

Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen

Vom 22.12.2010, verkündet in BGBl I Jahrgang 2010 Nr. 68 vom 31.12.2010.

Hier ist das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen im WWW zu finden:

Anbieter Datenformat Seitenaufteilung
Bundesanzeiger Verlag PDF fortlaufender Text
Anzeige

Anlass und Inhalt des Gesetzes lt. Entwurfsbegründung (BT-Drs Nr. 17/3403)

A. Ziel

Sicherungsverwahrung und Führungsaufsicht spielen als Maßregeln der Besserung und Sicherung eine wesentliche Rolle bei der Verhinderung von Rückfalltaten.

Besondere Bedeutung für die Verhinderung schwerer Wiederholungstaten hat vor allem das Recht der Sicherungsverwahrung (§§ 66 bis 66b des Strafgesetzbuches ­ StGB). Es bestimmt, unter welchen Voraussetzungen gefährliche Straftäter nach vollständiger Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe zum Schutz der Allgemeinheit weiter verwahrt werden dürfen. Sein Anwendungsbereich ist seit 1998 wiederholt erweitert worden. Hervorzuheben sind die Einführung der vorbehaltenen (2002) und der nachträglichen Sicherungsverwahrung (2004). Trotz dieser gesetzgeberischen Maßnahmen kann es in besonderen Konstellationen dazu kommen, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung ausscheidet, obwohl sie angezeigt wäre; dies belegen aktuelle Gerichtsentscheidungen. Gleichzeitig müssen rechtsstaatliche Grenzen beachtet werden, die dem Ausnahmecharakter der Sicherungsverwahrung und europarechtlichen Vorgaben Rechnung tragen. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht daher eine grundlegende Überarbeitung des Rechts der Sicherungsverwahrung vor. Ziel ist die Schaffung eines Systems, das einen angemessenen Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern ermöglicht, dabei aber die rechtsstaatlichen Anforderungen an dieses "letzte Mittel der Kriminalpolitik" wahrt.

Der vorrangige Zweck der Führungsaufsicht besteht darin, durch Maßnahmen der Betreuung und Überwachung eine erneute Straffälligkeit der verurteilten Person nach deren Entlassung zu vermeiden. Vor besonderen Anforderungen steht die Führungsaufsicht, wenn es darum geht, Wiederholungstaten von Personen zu verhindern, die eine ungünstige Legalprognose aufweisen, weil ihre Strafe vollständig vollstreckt oder ihre Maßregel aus anderen Gründen als der Erreichung des Maßregelzwecks für erledigt erklärt wurde. Das gilt erst recht, wenn zu befürchten ist, dass erneut schwere Straftaten, insbesondere schwere Gewalt- oder Sexualdelikte, begangen werden. Dies kann aktuell vor allem bei Verurteilten angenommen werden, die aufgrund des seit dem 10. Mai 2010 endgültigen Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Dezember 2009 (Nr. 19359/04) aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden, obwohl bei ihnen weiterhin die Gefahr besteht, dass sie erhebliche Straftaten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

Um solchen Gefahren besser begegnen zu können, sollen die Möglichkeiten der Führungsaufsicht um das Instrument der elektronischen Aufenthaltsüberwachung erweitert werden. Daneben soll die Möglichkeit ausgedehnt werden, die Führungsaufsicht unbefristet zu verlängern.

Die Führungsaufsicht kann jedoch trotz dieser gesetzgeberischen Maßnahmen weder therapeutische Möglichkeiten noch die Sicherheit der Allgemeinheit in gleichem Maße gewährleisten wie eine Unterbringung der infolge des Urteils des EGMR aus der Sicherungsverwahrung zu entlassenden oder bereits entlassenen Straftäter in einer geschlossenen Einrichtung. Deshalb ist im Rahmen der engen Vorgaben des Grundgesetzes und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) für bestimmte Fälle eine Rechtsgrundlage zu schaffen, die eine sichere Unterbringung der betroffenen Straftäter ermöglicht.

B. Lösung

Um diese Ziele zu erreichen, werden im Wesentlichen folgende Änderungen vorgeschlagen:

Im Bereich der Sicherungsverwahrung Konsolidierung der primären Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB); Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB); Beschränkung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB). Diese Änderungen sollen ausschließlich auf Taten anwendbar sein, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes begangen werden und Anlass für die Anordnung oder einen Vorbehalt der Sicherungsverwahrung geben. Für vorher begangene Taten ist die Weitergeltung des bisherigen Rechts vorgesehen.

Im Bereich der Führungsaufsicht Der Entwurf schlägt vor, in § 68b Absatz 1 StGB die Möglichkeit einer neuen strafbewehrten und von der Einwilligung des Verurteilten unabhängigen Weisung vorzusehen, mit der der verurteilten Person aufgegeben werden kann, die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Die Möglichkeit für eine solche Weisung wird hinsichtlich des erfassten Personenkreises an enge Voraussetzungen geknüpft und ist spätestens alle zwei Jahre daraufhin zu überprüfen, ob sie aufzuheben ist. Die Weisung soll vor allem spezialpräventiv wirken, insbesondere indem sie eine bessere Überwachung der Einhaltung von aufenthaltsbezogenen Weisungen nach § 68b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 StGB ermöglicht, aber auch ein erhöhtes Entdeckungsrisiko im Falle einer erneuten schweren Straftat begründet. Zudem soll es den Behörden erleichtert werden, im Falle einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr für Leib oder Leben einzuschreiten. Entsprechend diesen Vorgaben soll in einem neuen § 463a Absatz 4 der Strafprozessordung (StPO) bestimmt werden, in welchem konkreten Umfang Aufenthaltsdaten erhoben und verwendet werden dürfen. Dabei sind eine enge Zweckbindung, eine relativ kurze Speicherfrist und der Umstand, dass die Wohnung des Betroffenen erhebungsfreier Raum ist, wesentliche Sicherungen dafür, dass der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig bleibt. Außerdem soll die in § 68c Absatz 3 Nummer 2 StGB enthaltene Möglichkeit, die Führungsaufsicht unter den dort genannten Voraussetzungen unbefristet zu verlängern, auf diesen Personenkreis mit ungünstiger Legalprognose so ausgedehnt werden, dass auch wegen schwerer Gewaltstraftaten Verurteilte erfasst werden.

Für die Fälle, in denen infolge des Urteils des EGMR vom 17. Dezember 2009 weiterhin als gefährlich eingestufte Straftäter aus der Sicherungsverwahrung

entlassen werden oder bereits entlassen wurden (nachfolgend: Parallelfälle), wird, soweit es sich um psychisch gestörte Straftäter handelt, die Schaffung eines "Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter" vorgeschlagen.

Anzeige

Bundestagsdrucksachen zur Beratung des Gesetzes

Links führen zur DIP-Datenbank des Deutschen Bundestages.

NummerDatumInhalt
17/3403 26.10.2010 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
17/4066 30.11.2010 Änderungsantrag der Fraktion der SPD
17/4062 01.12.2010 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses

Durch das Gesetz geänderte Rechtsnormen (soweit auf rechtliches.de verzeichnet):


Bundesrecht nach Rechtsgebieten - Verkündete Gesetze